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"reine Stimmung - temperierte Stimmung" (8)


Der überall auf den vorangegangenen Seiten an den kritischen Stellen auftretende Unterschied, der genau ein Syntonisches Komma (80:81) ausmacht, ist größer als ein Zehntel eines Halbtonintervalls; er liegt somit eindeutig im hörbaren Bereich, und zwar in jenem, wo infolge der Elastizität unseres Gehörssinnes wohl ein Zurechthören stattfindet, jedoch bei gleichzeitig auftretendem Korrekturbedürfnis. Keiner der erörterten Sachverhalte wird daher der Forderung gerecht, daß alle Töne so zu erklingen haben, daß sie nach keiner Intonationskorrektur mehr verlangen; erst die Einstimmung der Töne im temperierten Sinn führt zum ersehnten Ziel.

Sowohl Kontrapunkt als auch Harmonielehre beruhen auf dem tonleiterartig angeordneten Material der sieben Töne, und innerhalb dieser Tonordnung gibt es immer wieder Stellen, wo Intervalle auftreten, die nach einer Intonationskorrektur verlangen. Wo kommt man jedoch mit nur sieben Tönen aus?

Wie die Musikentwicklung zeigt, taucht bereits sehr früh ein achter, ein neunter Ton usw. auf, die Tonart wird verlassen u.a.m. Den gleichzeitig damit anwachsenden Intonationsproblemen ist einzig mit Hilfe der temperierten Stimmung zu begegnen, auch wenn es Theoretiker gibt, welche mit Eifer argumentieren: gerade die Naturgegebenheiten seien doch durch die "freischwebende Temperatur" vergewaltigt, sie seien einem künstlichen Kompromiß geopfert worden. Walter Abendroth, der in seiner Schrift "Selbstmord der Musik? Zur Theorie, Ideologie und Phraseologie des modernen Schaffens" (Max Hesses Verlag, Berlin und Wunsiedel, 1963) diesen Gedanken aufgreift, nimmt hierzu selbst Stellung, indem er fortfährt: Allein, dieser Vorwurf trifft nur eine theoretische Wahrheit. Die praktische und faktische sieht anders aus. Nämlich so: es wurde mit der "Temperatur" die akustische Naturgegebenheit ein wenig korrigiert zugunsten einer menschlichen Naturgegebenheit: der begrenzten Wahrnehmungsfähigkeit des Gehörs.

Wird im visuellen Bereich die begrenzte Wahrnehmungsfähigkeit mit Erfolg ausgenützt, wie dies beispielsweise beim Spielfilm geschieht, wo der Bewegungseindruck bekanntlich durch rasche Vorführung von vielen Einzelbildern erzielt wird, spricht man da von "Schwindel", "Notbehelf", "Vergewaltigung", "Kompromiß" u.dgl.?

Anfangs erscheint die Frage aufgeworfen, ob man Kontrapunkt, Harmonielehre und Klangreihenlehre überhaupt in einem Atemzug zu nennen berechtigt ist: Die bisherige Untersuchung führt zu dem Resultat, daß alle drei Satzlehren - aber auch noch alle anderen zeitgenössischen Theorien, soweit sie nicht über die Zwölftönigkeit hinausgehen - der temperierten Stimmung bedürfen, sodaß einzig wegen dieses einen Sachverhalts keine ernsthaften Bedenken bestehen.



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Weiterführende Informationen in Wort und Ton siehe:

Gegenüberstellung der 3 Wiener Zwölftonschulen
Panchromatische Überlegungen
Zwölftonmusik
Klangreihenmusik
Zur Einführung in die Klangreihenmusik
Klangreihenmusik: Musik mit neuer "Antriebskraft"
Klangreihenmusik (Gesamtüberblick)

Johann Sengstschmid
Johann Sengstschmid: Schriften und ausgewählte Aufsätze
Verzeichnis der Skriptumblätter

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