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"reine Stimmung - temperierte Stimmung" (4)


Wie auf den vorangegangenen Seiten schon festgestellt worden ist, basiert die Klangreihenlehre auf den zwölf Tönen und bedarf somit der temperierten Stimmung, also der zwölfstufigen gleichschwebenden Temperatur.

Es wäre jedoch verfehlt, sie einzig wegen dieser Gegebenheit ad absurdum führen zu wollen, denn mit demselben Argument ließen sich auch Kontrapunkt und Harmonielehre anfechten.

Vier Sachverhalte aus dem Siebentonbereich mögen das in Erinnerung bringen:


Sachverhalt I: Die "reine" Durtonleiter

Die Töne der Durtonleiter sind in den Dreiklangstönen der I., IV. und V. Stufe rückverbunden. In C-Dur heißen sie:


Wie ein Blick auf die Obertonreihe zeigt, weist ein "reiner" Durdreiklang wie c:e:g die Proportion 4:5:6 auf. Demselben Sachverhalt begegnet man bei den "reinen" Durdreiklängen f:a:c und g:h:d. Da die Oktav das Verhältnis 1:2 = 2:4 = 3:6 etc. aufweist, ergibt sich für den Quartsextakkord d:g:h die Proportion 3:4:5. Ordnet man diese Töne aufsteigend innerhalb des Tonraumes einer Oktav, dann erhält man die "reine" C-Dur-Tonleiter.


Sie besteht - oberflächlich betrachtet - aus 5 Ganztonschritten und zwei Halbtonschritten (15:16). Bei den Ganztonschritte gibt es zwei Arten, die "großen" Ganztonschritte (8:9) und die "kleinen" Ganztonschritte (9:10).

Man berechnet etwa den "großen" Ganztonschritt c:d, indem man die reine Aufwärtsquint c:g (2:3) mit der reinen Abwärtsquart g:d (4:3) multipliziert (Resultat: c:d = 8:9). Ebenso erhält man den "kleinen" Ganztonschritt d:e durch Multiplikation der reinen Aufwärtsquart d:g (3:4) mit der kleinen Abwärtsterz g:e (6:5), was zum Resultat d:e = 18:20 = 9:10 führt.

Schon das Vorhandensein von zwei Größen bei den Ganztonschritten kann problematisch werden. Verallgemeinert man das obige Beispiel, dann läßt sich festhalten: zwischen der I. und II. Tonleiterstufe befindet sich ein "großer" und zwischen der II. und III. Tonleiterstufe ein "kleiner" Ganztonschritt.

Das ist die Situation, wenn man in der "reinen" Tonart bleibt. Geht man aber etwa nach G-Dur (Ausweichung, Modulation), wird nicht nur aus dem Ton f ein fis, es ändert sich mehr: Nimmt man als Ausgangstonart die Töne der obigen "reinen" C-Dur-Tonleiter an und beginnt mit dem Ton "g" die neue "reine" Durtonleiter (G-Dur), dann muß g:a ein "großer" und a:h ein "kleiner" Ganztonschritt sein; das bedeutet, der Ton "a" muß nach oben korrigiert werden, und zwar um das Verhältnis 80:81 (diese Proportion nennt man das "Syntonische Komma" oder "Didymische Komma"). Mit jeder weiteren Modulation wird die Sache noch komplizierter. Bei der temperierten Stimmung entfallen solche Komma-Störungen samt den Korrekturproblemen.

Zum besseren Überblick für weitere Sachverhalte kann man die Töne der C-Dur-Tonleiter und deren Tonschritte untersuchen, und da erhält man für c:d:e:f:g:a:h:c die fortlaufende Proportion 24:27:30:32:36:40:45.


Daraus lassen sich die Proportionen von jedem oben ablesbaren Intervall oder Akkord entnehmen: zum Beispiel lautet die große Aufwärtssext d:h 27:45 = 3:5, die kleine Abwärtsseptim 48:27 = 16:9, der Molldreiklang e:g:h 30:36:45 = 10:12:15 etc.

Als interessant erweisen sich zwei Intervalle: die Aufwärtsquint d:a besitzt nicht, wie erwartet, das Verhältnis 2:3, sondern 27:40,


und die kleine Aufwärtsterz d:f besitzt nicht, wie erwartet, 5:6, sondern 27:32 (Abweichung jeweils um das syntonische Komma 80:81). Somit ist der leitereigene Dreiklang der II. Stufe in Dur kein "reiner" Molldreiklang (27:32:40 statt 10:12:15).



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Weiterführende Informationen in Wort und Ton siehe:

Gegenüberstellung der 3 Wiener Zwölftonschulen
Panchromatische Überlegungen
Zwölftonmusik
Klangreihenmusik
Zur Einführung in die Klangreihenmusik
Klangreihenmusik: Musik mit neuer "Antriebskraft"
Klangreihenmusik (Gesamtüberblick)

Johann Sengstschmid
Johann Sengstschmid: Schriften und ausgewählte Aufsätze
Verzeichnis der Skriptumblätter

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