Die zyklisch angelegte Rosette
zu drei Stimmen, op. 7, von Johann
Sengstschmid stellt ein Beispiel für den dreistimmigen Satz mit Reminiszenztönen
dar. Es gelten somit alle satztechnischen Prinzipien, welche bei der Behandlung
des einstimmigen
Satzes ohne Reminiszentöne, des akkordisch
begleiteten einstimmigen Satzes mit Reminiszentönen, des zweistimmigen
Satzes ohne Reminiszentöne, des zweistimmigen
Satzes mit Reminiszentönen sowie des dreistimmigen
Satzes mit Reminiszentönen bezüglich der Vorformung
des musikalischen Materials, der Klangreihenbildung
(Art
der Harmonisierung), der Verteilung der Reihentöne
samt den dazugehörigen obligaten
Sekundschritten auf die einzelnen Stimmen, der Dissonanzbehandlung,
der Verwendung
von Reminiszenztönen als akkordfremde Töne etc. dargelegt worden
sind.
Wie alle Sätze beruht auch der hier wiedergegebene 2. Satz auf
einer kleinen
Abwandlung. Diese Rotationsform ist in der Komposition dadurch, daß
die acht Anfangstakte zum Satzende wiederkehren (Auftakt zu Takt 27 bis Takt 34),
vom Ohr hörbar
nachvollziehbar. Die Klangreihe ist schematisch
nach Dreitongruppen und in fortlaufender
Art gebildet. Die zeitliche Aufeinanderfolge der einzelnen Klangreihenakkorde
ist flexibel und richtet sich nach den kompositorischen Vorstellungen.
An zahlreichen Stellen begegnet man komprimierten
Klangreihenbildungen. Sie entstehen in der Weise, daß etwa, um aus der
Fülle der Fälle nur zwei anzuführen, auf den 4. nicht der 5., sondern
gleich der 6. Klangreihenakkord folgt oder nach gleichem Muster auf den 20. gleich
der 23. Klangreihenakkord, indem zum selben Zeitpunkt die nächsten zwei beziehungsweise
drei Töne der Zwölftonreihe
samt den dazugehörigen obligaten
Sekundschritten gemeinsam eintreten.
Weiters kommt es vor, daß nicht alle
Akkordtöne eines Klangreihenakkordes im musikalischen Satz verwendet werden.
Auch dafür seien zwei Beispiele exemplarisch herausgegriffen: Im
Wirkungsbereich des 1. Klangreihenakkordes f-fis-h-cis scheinen alle vier Akkordtöne
auf, doch dort, wo der 2. Klangreihenakkord f-g-h-cis zuständig ist, wird
der Ton "cis" nicht verwendet; er taucht vorher (im Bereich des 1. Klangreihenakkordes)
und nachher (im Bereich des 3. Klangreihenakkordes) auf, nicht aber im letzten
Achtel des 1. Taktes. Ähnlich verhält es sich mit dem nicht
berücksichtigten Ton "g" des 3. Klangreihenakkordes f-g-b-cis (=
f-g-ais-cis): er ist wohl durch seinen Reminiszenzton "fis" vertreten,
der sofort in den Akkordton "g" hineinführt, doch dieser ist zum
Zeitpunkt seines Eintretens bereits zum Bestandteil des 4. Klangreihenakkordes
e-g-b-cis (= e-g-ais-cis) geworden. Für die akkordfremden Töne
werden größtenteils die aus der Klangreihenstruktur ableitbaren Reminiszenztöne,
seltener die Reminiszenztöne der Reminiszenztöne sowie in Ausnahmefällen
auch die Antizipationstöne verwendet (siehe das Stichwort "Die
Reminiszenztöne"). Um die dem 1. Klangreihenakkord zuzuordnenden
Reminiszenztöne sowie deren Reminiszenztöne, die alle sich nach dem
Klangreihenende des 1. Satzes orientieren, entnehmen zu können, sind diese
im Beispiel unten in Klammer der Klangreihe vorangestellt. Die dazugehörigen
direkten Sekundbindungen, wie sie andernorts
beschrieben erscheinen, sind in der Stimmführung überall berücksichtigt.
Lediglich beim 40. Klangreihenakkord e-gis-a-cis (Takt 17/18) finden wir den Fall
einer indirekten
Sekundbindung: Der Akkordton "cis" (18. Takt, 1. Stimme) besitzt
den Reminiszenzton "d"; der davorliegende schulmäßige Sekundschritt
d-cis wird jedoch durchbrochen, indem dazwischen der Akkordton "e" eingeschoben
wird ("durchbrochener Sekundschritt" d-e-cis, wodurch das "d"
zu einem losen
Reminiszenzton wird). Auch alle Töne der rotierenden Zwölftonreihen
werden in der Stimmführung über die obligaten
Sekundschritte stufenweise erreicht, doch gibt es drei Fälle, die einer
näheren Erörterung bedürfen: In den 10. Reihenton "f"
in Takt 4 (1. Stimme) sollte der obligate Sekundschritt dis-f (= es-f = dis-eis)
führen. Da bei jenem Ton auch vom Akkordton "fis=ges" aus ein Tonschritt
möglich ist, vertritt die Sekundfolge ges-f den eigentlich zuständigen
obligaten Sekundschritt dis-f (= es-f), der kurz vorher schon unter Zuhilfenahme
eines Antizipationstones vorweggenommen worden ist. Für die Reminiszenztöne
der Takte 4 bis 8 gilt jedoch die Ausgangssituation: "f=eis" besitzt
den Reminiszenzton "es=dis", und "fis=ges" den Reminiszenzton
"gis=as". Der 19. Reihenton "fis" (10. Takt, 2. Stimme)
sollte durch den obligaten Sekundschritt gis-fis (as-fis) erreicht werden. Sinngemäß
geschieht das durchaus, nur schiebt sich in Art eines "durchbrochenen Sekundschrittes"
der Reminiszenzton "g" dazwischen. Eine analoge Situation
trifft man einen Takt später ebenfalls in der 2. Stimme an. In den obligaten
Sekundschritt f-dis wird der Reminiszenzton "e" eingefügt, sodaß
das Ergebnis f-e-dis lautet. Beim gleichzeitigen Erklingen von harten
Dissonanzen (kleine Sekund und große Septim sowie deren Oktavvergrößerung
wie: kleine Non, Oktav + große Septim etc.) wird in der Stimmführung
auf eine entsprechende sekundschrittweise Auflösung in Seitenbewegung oder
Gegenbewegung geachtet, wie sie bereits an
anderer Stelle beschrieben worden ist. Manchmal beschränkt
sich die Dissonanzauflösung auf nur einen Sekundschritt in der einen Stimme,
während die andere Stimme aus dem dissonierenden Intervall hinausspringt,
ein Vorgang, der auch Hauer nicht fremd ist (siehe Skriptumblatt über Hauers
"melischen Entwurf"). In Takt 24 sieht
das so aus: Die 2. Stimme bringt den auflösenden Sekundschritt d-cis, indessen
wird in der 3. Stimme der Zusammenklang der großen Septim durch den Sprung
e-a verlassen. Auch zum Auftreten einer Hauerschen
Sekundkreuzung kann es kommen, wie etwa in Takt 5, wo auf den Zusammenklang
der großen Septim jener der kleinen Non folgt, indem das "eis"
zum "fis" (2. Stimme) und im Gegenzug das "fis" zum "eis"
(3. Stimme) geführt wird. Einer ähnlichen Situation begegnet man in
den Takten 7 (zwischen 1. und 3. Stimme) und 24 (zwischen 2. und 3. Stimme).
In den traditionellen Satzlehren
werden "offene
Quintenparallelen" in der Regel vermieden. Im Klangreihenbereich ist
gegen sie, wenn sie gut klingen, nichts einzuwenden, wie etwa bei jenen in den
Außenstimmen beim Taktübergang 15/16 (1. Stimme: g-fis, 3. Stimme:
c-h). |