Nach Dreitongruppen erstellte Klangreihe Der unbegleitete einstimmige Satz ohne Reminiszenztöne |
Die wichtigsten satztechnischen Prinzipien des unbegleiteten einstimmigen Satzes ohne Reminiszenztöne lassen sich anhand der Zwölf Rubato-Stückchen für ein Holzblasinstrument, op. 23, von Johann Sengstschmid studieren. Wie im Skriptumblatt "Das Komponieren mit Klangreihen" vorweg erörtert erscheint, setzt der Schaffensprozeß bei einer Klangreihenkomposition meist nach Vorformung des musikalischen Materials ein, und dazu gehört die Bildung der Klangreihe. Liegt diese vor, dann wird jeder Klangreihenakkord als Ton-"Vorrat" aufgefaßt. Beim 3. Stückchen etwa kann man aus den vier Tönen des 25. Klangreihenakkordes ("fis-g-c-es") den zwei Takte umfassenden Melodieabschnitt von 10 Tönen formen. Die "obligaten Sekundschritte" werden in der Regel überall berücksichtigt. Der obligate Sekundschritt vom 25. zum 26. Klangreihenakkord heißt "c-h". Daher endet die zehntönige Melodiefolge mit "c" und führt im 3. Takt mit dem Ton "h" (26. Klangreihenakkord) weiter. Der Sekundübergang vom einen zum nächsten Klangreihen taucht überall in der Melodie auf, sogar dann, wenn er durch eine Pause unterbrochen wird (Übergang vom 29. zum 30. Klangreihenakkord). Meistens handelt es sich um einen Sekundschritt, doch manchmal kann er auch durch eine Septim oder Non ersetzt werden, zum Beispiel: |
Septim: |
Übergang vom 27. zum 28. Klangreihenakkord Übergang vom 34. zum 35. Klangreihenakkord |
Non: |
Übergang vom 26. zum 27. Klangreihenakkord Übergang vom 29. zum 30. Klangreihenakkord |
Besonders viele Septim- und Nonintervalle finden sich im 4. Rubato-Stückchen. Sie sind entweder in einem Klangreihenakkord, zum Beispiel im 37. Akkord "f-g-h-cis", enthalten und wurden melodisch gestaltet, oder zahlreiche obligate Sekundschritte wurden entsprechend umgewandelt. Das beschriebene Prinzip der Umwandlung von einem Sekundschritt in einen Septim- oder Nonsprung bleibt natürlich nicht auf den unbegleiteten einstimmigen Satz beschränkt, wie etwa ein Blick auf die begleitete Melodie der Takte 6 bis 7 des Variationsthemas zum 3. Satz der 1. Violinsonate von Othmar Steinbauer zeigt. Die Einhaltung des obligaten Sekundschrittes im musikalischen Satz gilt nicht unbedingt beim Übergang zum jeweils nächsten Stückchen. Wenn der Fall trotzdem auftritt (Übergang vom 2. zum 3., vom 3. zum 4. und vom 9. zum 10. Rubato-Stückchen), ist es nicht direkt beabsichtigt, denn jedes Stückchen ist ja eine eigenständige, in sich abgeschlossene Komposition. Wieviel Melodietöne aus einem Klangreihenakkord gewonnen werden, hängt vom musikalischen Einfall ab. Nicht einmal alle vier Akkordtöne eines Klangreihenakkordes müssen in der Melodie erscheinen, weil die fehlenden Töne als Liegetöne aus den vorangegangenen Klangreihenakkorden nachwirken. Beispielsweise fehlt im 1. Rubato-Stückchen bei der Gestaltung aus dem 4. Klangreihenakkord (Takt 5) der Ton "fis" (der bereits in Takt 4 als "ges" vorgekommen ist); ebenso wird beim Auskomponieren des 5. Klangreihenakkordes auf den Ton "h" (der ebenfalls bereits vorher aufgetreten ist) verzichtet, obwohl die Melodie an dieser Stelle aus 8 Tönen besteht. Sogar bei der kompositorischen Gestaltung aus dem 13. Klangreihenakkord, also zu Beginn eines Rubato-Stückchens, finden sich die Töne "g" und "ais" nicht, Töne also, die in den letzten Klangreihenakkorden des 1. Rubato-Stückchens vorkommen ("g" seit dem 8. Klangreihenakkord, "b=ais" seit dem 11.). Ähnlich verhält es sich beim 14. Akkord, wo die Töne "g" und "cis" in der Melodie nicht berücksichtigt wurden. Diese ist an jener Stelle auf jene Töne reduziert, welche den obligaten Sekundschritt bilden. Im Falle des 20. Klangreihenakkordes (Takt 11) vermögen in der Melodie sogar drei Akkordtöne ( "g", "h" und "d") zu fehlen, weil der Ton "e" (Ton der Zwölftonreihe) stufenweise erreicht und sofort wieder stufenweise verlassen werden kann (Folge von zwei obligaten Sekundschritten). Die zeitliche Aufeinanderfolge der Klangreihenakkorde orientiert sich nach dem musikalischen Einfall: Beispielsweise bringt im 1. Rubato-Stückchen der 1. Klangreihenakkord 11 Melodietöne hervor. Der 2. Klangreihenakkord tritt mit dem 1. Viertel des 3. Taktes, der 3. Klangreihenakkord mit dem 2. Viertel des 4. Taktes, der 4. Klangreihenakkord mit dem 2. Viertel des 5. Taktes, der 5. Klangreihenakkord mit dem 8. Achtel des 5. Taktes, der 6. Klangreihenakkord mit dem 6. Achtel des 6. Taktes etc. ein. Es gibt also kein vorher festgelegtes zeitliches Abfolgeschema wie bei Hauer. Dadurch können einem einzigen Klangreihenakkord auch sehr viele Melodietöne entspringen, wie etwa beim 6. Rubato-Stückchen, wo ein Bogen von 52 Tönen auf dem 72. Klangreihenakkord beruht. |
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